Bahnerlebnisse eines alten Rennfahrers
Von Walter Rütt
Abgesehen von ihrer manchmal wechselnden Größe sieht für den Zuschauer eine Rennbahn aus wie die andere. Nichts wäre aber falscher, als zu glauben, dass sich auch für den Rennfahrer eine Bahn wie die andere fährt. Von den mehreren Hundert Bahnen, die ich ich im Laufe meiner 25jährigen Rennfahrerlaufbahn in drei Erdteilen befahren habe, sind mir manche als ausgesprochene Scheusale, aber andere auch als ideale, allen Anforderungen genügende Kampfstätten in Erinnerung.
So fand ich in Holland kleinere Holzbahnen, die wegen der besseren Trockenhaltung in dem dortigen feuchten Klima mit Querlatten mit beträchtlichen Zwischenräumen belegt waren. Beim schnellen Fahren entstand dadurch ein taktmäßiges Rattern, das nicht nur auf die Zuschauer sondern auch auf die Fahrer eine stark suggestive Wirkung ausübte, indem es als Ersatz des fehlenden Motorknatterns sozusagen eine Art anfeuernder Begleitmusik lieferte.
In Südfrankreich habe ich auf Bahnen gefahren, die wohl in der Welt einzigartig sind. Inmitten der Stadt standen auf dem Marktplatz des kleinen Städtchens zwei fest eingebaute hohe Zementkurven einander gegenüber, zwischen denen die Längsgeraden von dem Erdboden des Marktplatzes gebildet wurden. Die Bewohner der umliegenden Häuser hatten so nicht nur eine Gratis-Schau, sondern machten noch aus der Vermietung von Fensterplätzen ein gutes Geschäft.
In den Vereinigten Staaten von Amerika fuhr ich zweimal auf Bahnen, die auf dem Parkett einer Halle unter der Bedingung aufgestellt worden waren, dass kein Nagel das Parkett beschädigen dürfe. Als dann in einem schnellen Rennen ein größeres Feld geschlossen in die Kurve einfuhr, wurde die ganze Anlage der Bahn durch die Fliehkraft zum Rutschen gebracht und stellte sich schräg. Rennfahrer und Rennkomitee mussten sie später mit "Hau-ruck!" wieder in die richtige Lage in den Hallenraum bringen, in dem sie dann mit Stricken festgehalten wurde.
Im Londoner Alexander-Palast stand einmal eine Bahn von nur 88 m Länge, die ein Feld von ganzen drei Mann zuließ, die sich dann aber doch sehr interessante Kämpfe lieferten, die die Zuschauer begeisterten und mitrissen.
Interessante Kämpfe, das ist schließlich Zweck und Ziel des Erbauens von Bahnen und dazu gehört dann auch ein tüchtiger kampffroher Nachwuchs: wir sind wieder dabei, solchen Nachwuchs zu schulen!
Hinweis
Der Artikel erschien 1949 im Magazin "Natur und Technik", Ausgabe 22. Der Text wurde ohne Korrekturen übernommen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde die Anzahl der Absätze gegenüber dem Originalabdruck vergrößert.
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