"Eisernes Training und solideste Lebensweise
waren die Ursache meines Erfolges."
Der Weg zum Ruhm
Auf Anraten von August Lehr, dem Weltmeister des Jahres 1894, wurde Walter Rütt bereits mit 17 Jahren Profi und zählte zunächst im Rheinland, bald in ganz Deutschland, zu den beliebtesten Fahrern. Sein freundliches Auftreten, der couragierte Fahrstil und seine Fairness kamen beim Publikum an.
Er erwies sich als würdiger Nachfolger Willy Arends, dessen Stern langsam verlosch und zeigte keine Angst, wenn er auf die internationale Extraklasse traf. Nach seinen ersten Siegen über Thorvald Ellegaard, Henry Mayer und Frank Kramer erfolgte der endgültige Durchbruch und 1904, als er unter anderem Sieger im bedeutenden "Grand Prix de la République" wurde, galt er als der beste Flieger der Welt.
Im gleichen Jahr heiratete er Charlotte Nord, die Schwester des dänischen Sprinters Orla Nord. 1906 bekam das Paar während eines Aufenthaltes in Australien einen Sohn, der den Namen Oskar erhielt. Walter Rütt und Thorvald Ellegaard waren für eine Bahntournee verpflichtet worden und gemeinsam mit ihren Familien zum fünften Kontinent gereist. Dort wurde der Deutsche trotz starker Konkurrenz in neun von zehn Rennen als Sieger gefeiert.
Dass er ausrechnet beim "Sydney Thousand", dem weltweit höchst dotierten Fliegerrennen, "nur" Zweiter geworden war, betrachtete er später als Fügung. Der Sieg hätte ihm nämlich einen längeren Kontrakt verschafft und die Gagen wären in den Kauf eines australischen Hotels geflossen, das er selbst bewirtschaften wollte. Seine sportliche Karriere wäre damit beendet gewesen.
Foto: Elektra Paul Hoffmann, Berlin
Ein Leben aus dem Koffer
Kaum ein Tag verging, an dem sich nicht irgendwo in Europa die Radsprinter gegenüberstanden und erbittert um die Gunst des Publikums und hohe Preisgelder kämpften. Die Anreise der Teilnehmer zu den Rennen erfolgte ausschließlich über das Schienennetz der Eisenbahn. Welchen Aufwand die Profis dabei in Kauf nehmen mussten, verdeutlicht ein Rückblick im "Illus" vom 9. Juni 1929.
"Am Freitag, dem 3. Juni 1904, schlug Walter Rütt auf der Pariser Buffalo-Bahn den Franzosen Edmond Jacquelin in drei Läufen. Noch am gleichen Abend setzte er sich in den Eisenbahnzug, traf am Samstagmorgen in Köln ein, fuhr gleich weiter, war abends in Hamburg und landete Sonntagmorgen, also nach ununterbrochener Eisenbahnfahrt von 36 Stunden, in Kopenhagen, wo er auf der Ordrupbahn ein Match gegen Thorvald Ellegaard zu bestreiten hatte. Der Däne, auf seiner Heimatbahn schier unbesiegbar und dazu noch vollkommen frisch, wurde vom ehrgeizigen Rütt glatt in zwei Läufen geschlagen."
Ausführliche Berichte über die Wettkämpfe las man in Deutschland in der "Rad-Welt", einem in hoher Auflage gedrucktem Magazin, das täglich erschien.
Reklamekarte für ein prominent besetztes Fliegerrennen in Steglitz.
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Foto: Culver Service, New York
Walter Rütt und John Stol auf der Radrennbahn von Newark
beim Training für das New Yorker Sechstagerennen 1907
Von New York nach Berlin
In den USA erlebten unterdessen die Sechstagerennen einen ungeheuren Aufschwung. Die Idee, Mannschaften aus jeweils zwei Fahrern, welche sich beliebig ablösen durften, 144 Stunden lang auf einer kleinen Rennbahn fahren zu lassen, fand riesiges Interesse und füllte die Hallen.
Der Amerikaner Floyd McFarland hatte die Fähigkeit Walter Rütts, auch über lange Distanzen hohes Tempo fahren zu können, erkannt und überredete ihn zur Teilnahme am New Yorker Sechstagerennen 1906. Die deutsch-amerikanische Mannschaft erreichte einen guten dritten Rang. Im Folgejahr gelang Walter Rütt (von den dortigen Fans "Bearcat" genannt) an der Seite des Holländers John Stol der erste Sieg im Madison Square Garden und die Zeitungen in den USA überschlugen sich mit Lobeshymnen. 1909 fuhr das Paar Rütt-Clark die Ehrenrunde, 1912 gewann Joe Fogler an der Seite des Deutschen.
"Rütt macht keinen Unterschied zwischen Siegen. Für ihn ist sein Selbstwertgefühl befriedigt, wenn er als Erster die Ziellinie überquert und egal, ob die Tortur zwei Minuten oder sechs Tage dauert, er erinnert sich nur an das erzielte Ergebnis. Er sucht nie nach einer Entschuldigung für eine Niederlage; er schätzt niemals einen Sieg zu hoch ein, so brillant er auch sein mag." So urteilte seinerzeit der Sportjournalist Charles Ravaud und fügte hinzu: "Rütt ist moralisch genauso stark wie körperlich. Ich glaube im Moment nicht, dass wir einen sympathischeren, korrekteren und besser erzogenen Rennfahrer finden könnten."
Walter Rütt bei der Rückkehr von einer "Dienstreise".
Verständigungsprobleme gab es für ihn auch im Ausland nicht,
neben seiner Muttersprache beherrschte er fließend
Englisch, Französisch und Dänisch.
In Berlin, das 1909 sein erstes Sechstagerennen sah, zeigte man 1910 reges Interesse, Walter Rütt für einen Start zu verpflichten. Dieser lebte seit vier Jahren in Courbevoie, einem Vorort von Paris, da er seiner Gestellungspflicht zum Wehrdienst nicht nachgekommen war und aus Angst vor einer Verhaftung nicht wagte, die deutschen Landesgrenzen zu passieren. Auf diplomatischen Wegen wurde seine Begnadigung erreicht.
Die Berliner Presse meldete überschwänglich: "Walter Rütt ist gekommen! Das, was sich als Gerücht während der Weihnachtsfeiertage verbreitet hatte, ist Wahrheit geworden, der große Rheinländer ist eingetroffen um nach langen Jahren den Kampf auf einer deutschen Bahn gegen die andringenden Ausländer aufzunehmen. Noch traut man seinen Augen nicht, aber Rütt ist bereit, sich dem Starter und später den Militärbehörden zu stellen. O edles Deutschland, freue Dich, dein Walter kühn und 'rütt'erlich."
An der Seite von Jack Clark gewann er nicht nur die Austragung 1910, sondern mit John Stol auch die nächsten drei Rennen an der Spree. 1911 siegte das Paar außerdem in Frankfurt. Jahre später bezeichnete Walter Rütt seinen ersten Berliner Sechstagesieg als denjenigen, der ihn gefühlsmäßig am meisten berührt habe.
Die Frage, welches das schwerste Sechstagerennen seiner Karriere gewesen sei, beantwortete er später in einem Artikel, den Sie hier in vollem Wortlaut finden.
Am 26. Juli 1911 berichtete das britische Magazin "Cycling", Walter Rütt beabsichtige, den Stundenweltrekord anzugreifen, der zur fraglichen Zeit mit 41,520 km vom Franzosen Marcel Berthet gehalten wurde. Es blieb wohl bei dem Vorsatz, in entsprechenden Statistiken wird der Name des Rheinländers jedenfalls an keiner Stelle erwähnt.
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