Schnelle Latten

Geheimnisse des Radrennbahnbaus

Von Architekt Clemens Schürmann und Walter Rütt

Die überaus elegante Beweglichkeit des Fahrrades, mit der die Fortbewegungsgeschwindigkeit des Menschen ohne besonders große Steigerung der Kraftanstrengung vervielfacht werden kann verlockte schon frühzeitig zu Wettkämpfen. Dabei wurden die etwa um dieselbe Zeit eingeführten ersten Automobilrennen niemals als Konkurrenz empfunden. Im Gegenteil, sie erhöhten eher noch das Interesse an den Radrennen, denn dort war es ja der Motor, der die Hauptleistung vollbrachte, während hier der Mensch auf seine eigene Kraft gestellt blieb.

Nicht mit Unrecht erhielten die schnellen Rennen über kurze Strecken mit Höchstgeschwindigkeiten die Namen "Fliegerrennen", weil hier der Mensch ohne Mitwirkung anderer Kräfte Geschwindigkeiten erreicht, die dem Vogelflug gleichen. Im Laufe der Zeit sind diese Geschwindigkeiten durch Verbesserung der technischen Einzelheiten der Räder und auch durch Schaffung besonderer Bahnen beträchtlich erhöht worden. Den Weltrekord im Stundenfahren ohne Schrittmacher, fuhr im Jahre 1942 der ausgezeichnete Rennfahrer Fausto Coppi mit 45,871 Kilometer in der Stunde auf der schnellen Mailänder Vigorelli-Bahn. Über kurze Entfernung werden noch beträchtlich höhere Geschwindigkeiten erzielt bis über 60 Stundenkilometer.

Das dem Radsport entgegengebrachte große Interesse breiterer Volkskreise führte schon sehr früh zum Bau von Bahnen mit rundherum angeordneten Tribünen, von denen aus sich die Rennen in allen ihren Einzelheiten bequem verfolgen ließen. Den Grundriss bildete immer ein je nach den Platzverhältnissen mehr oder weniger lang gezogenes Oval, dessen Kurventeile leicht überhöht wurden. In Berlin bestand schon Anfang der 90er Jahre in Hallense eine solche ovale Asphaltbahn, deren damals noch kreisrunde Kurven außen ein wenig überhöht waren.

Da der Asphaltbelag aber bei starker Sonnenbestrahlung weich wurde, ging man bald zur Verwendung von Beton als Baumaterial über, doch die hierfür notwendige feste Gründung erforderte Zeit und ist recht teuer, so dass man bald Versuche mit Holz als Baumaterial machte, die durchaus erfolgreich verliefen. Trotz des am Niederrhein feuchten Klimas befand sich zum Beispiel die offene Bahn in Duisburg 24 Jahre lang in durchaus einwandfreiem Zustand.

Bau der Radrennbahn in der Halle am Berliner Funkturm

Zwei Erscheinungen waren für die Entwicklung des Bahnbaus von großer Bedeutung. Einmal der Ersatz der im Dauerrennen ursprünglich verwendeten Mehrsitzerführung durch Motorradschrittmacher und zweitens die Schaffung überdachter Winterbahnen. Außerdem machten die Motoren in Folge der größeren Geschwindigkeit eine stärkere Überhöhung der Kurven notwendig und die Hallenbahnen (Winterbahnen) zwangen dazu, kürzere und doch schnellere Bahnen zu bauen, um die Hallenbauten nicht zu sehr zu verteuern.

Heute gilt die Bahn von 333,33 Meter Länge als ideal, weil drei Runden genau einen Kilometer lang sind. Sehr oft aber reichen die vorhandenen Maße für eine solche Länge nicht aus und es ist dann eine Sache der Bahnkonstruktion eine Anlage hinzustellen, die sich den gegebenen Maßen anpasst und doch einwandfreien guten Sport und Bestleistung zulässt. Die neue Berliner Bahn am Funkturm ist nur 153,8 Meter lang und lässt Geschwindigkeiten von über 44 Stundenkilometern zu. 

Grundsätzlich sind Beton und Holz als geeignete Materialien für den Bahnbau zu betrachten, wobei für eine Hallenbahn nur Holz in Frage kommt, während für offene Bahnen meist Beton verwendet wird. Wirklich gute Zementbahnen sind teurer als Holzbahnen und erfordern auch eine längere Bauzeit, da die Kurvenböschungen entweder sorgfältig gemauerte Widerlager oder ein sehr festgesetztes Erdreich verlangen, um die Entstehung von Rissen zu verhindern. Soll eine Zementbahn schnell sein, so muss der Beton außerdem sorgfältig verarbeitet werden.

Von den in der Anfangszeit quer zur Fahrtrichtung verlegten breiten Brettern ist man wieder abgekommen, da die zahlreichen Stoßfugen zu Vibrationen der Maschinen und damit zu Geschwindigkeitsverlusten führten, aber auch längst verlegte breite Bretter erwiesen sich als nicht zweckmäßig, da sich das einzelne Brett leicht wölbt, so dass die Bahnoberfläche nicht mehr völlig glatt und eben ist. Heute wird die Fahrbahn aus einzelnen schmalen Latten hergestellt.

Um in der Oberfläche der Fahrbahn Nägel zu vermeiden, werden diese Latten in der Kurve seitlich zu einem geschlossenen Block zusammengenagelt. In den Längsseiten werden sie zwecks Erleichterung des Ausbaues zu Plattenpaketen zusammengenagelt und dann mit der tragenden Unterkonstruktion fest verbolzt. So erhält man eine nur aus Holz bestehende feste und parkettähnliche Fahrbahn, die sich sehr genau der errechneten Form anpassen und auch leicht wieder abbauen lässt.

Die errechnete Form, das ist natürlich eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine gute Bahn. Und zwar handelt es sich hierbei in erster Linie um die Kurven und ihre Ein- und Ausfahrten in die Geraden. Die Geraden sind bei offenen Bahnen im Allgemeinen sechs bis zehn, bei Hallenbahnen 5 bis 6 Meter breit ohne den Teppich, wie man den nach unten anschließenden meist dunkel gestrichenen neutralen Übergang zum Innenraum nennt.

Es hat sich als zweckmäßig herausgestellt, auch den Geraden, obwohl sich ja in ihnen keine Fliehkraft äußert, eine ganz geringe Überhöhung zu geben, die von etwa 6 Grad bei langen Geraden bis auf 13 Grad bei kurzen Geraden steigt Der Zweck dieser Überhöhung in den Geraden ist es, den Fahrern den Übergang in die anschließende Kurve bzw. die Ausfahrt aus der Kurve in die Gerade zu erleichtern.

Natur und Technik Nr. 22 1949

Entscheidend für die Fahreigenschaften der Bahn bleibt aber natürlich der Bau der Kurven selbst, bei dem man zwischen dem Grund- und dem Aufriss (Querschnittprofil) zu unterscheiden hat. Von dem halbkreisförmigen Grundriss der ersten Bahnen ist man sehr bald abgekommen, weil hier der unvermittelte Übergang aus der Geraden in die Kurve zu plötzlich erfolgt und daher beinahe stoßartig wirkt. Nach der Erprobung sehr vieler verschiedener Grundrissformen hat sich der Korbbogen als am besten geeignet erwiesen, der ja auch für Schlittenbahnen verwendet wird. Die Korbbogenform schaltet zwischen die Gerade und den Hauptteil der Kurven einen Übergangsbogen ein und bewirkt dadurch einen sanften und so gut wie stoßfreien Übergang.

Weit größere Schwierigkeiten bereitet das Kurvenprofil im Querschnitt. Es ist hier der im Grunde einfachen Forderung zu genügen, dass der Fahrer bei jeder Geschwindigkeit senkrecht zur Fahrbahn steht, da dann und nur dann eine glatte schnelle Kurvenfahrt möglich ist. Die bei größeren Geschwindigkeiten anwachsende Fliehkraft verlangt entsprechend dem jedem Radfahrer bekannten Hineinlegen in die Kurve eine stärkere Neigung der Fahrbahnoberfläche, die in allen Teilen der Kurve richtig zu bemessen die Kunst des Bahnkonstrukteurs ist.

Während bei Schlittenbahnen stark konkav gewölbte Kurven verwendet werden, hat sich bei Radrennbahnen ein gradliniges Kurvenprofil durchgesetzt, dass nur in seinem unteren Ende mit einer kurzen Rundung in den flach liegenden Teppich übergeht. Wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, muss natürlich die Neigung der Fahrbahn bei den schnelleren Dauerrennen mit Motorführung gegenüber den langsameren Flieger-und Mannschaftsrennen größer sein.

Um trotzdem ein und dieselbe Bahn für beide Zwecke verwenden zu können, hat man die kombinierte Anlage geschaffen, deren Kurven im unteren flacher und in dem mit kurzer Wölbung anschließenden oberen Teil stärker geneigt sind. Wir sind der Meinung, dass eine solche bei Radrennen bewährte Kurvenform auch für Schlittenbahnen beträchtliche Vorteile hat, die sie der bisherigen parabolisch gewölbten Böschung überlegen machen.

Es ist nicht uninteressant darauf hinzuweisen, dass es sogar Radrennbahnen mit konversen Kurvenprofilen gibt, die also im Querschnitt nach außen gewölbt sind. Diese Bauart hat praktisch keine besonderen Vorteile. 

Für die Berechnung der Kurvenprofile im Einzelnen sind für die Flieger- und Mannschaftsrennen Höchstgeschwindigkeiten von etwa 65 Stundenkilometer, wie sie auf den letzten 200 Metern gefahren werden und für Dauerrennen mit Motorführung von 100 Stundenkilometer, wie sie in Kampfarenen gemessen wurden, zugrunde zu legen. Als Tatsache ist zu beachten, dass der Ausgang der Kurve höher liegen muss als die entsprechende Stelle in der Einfahrt.

Der Aufbau der Bahn vollzieht sich in der Weise, dass zunächst den Plänen entsprechend der Grundriss der Innenkante der Bahn auf dem Hallenboden "aufgeschnürt" und im Erdreich "abgeflockt" wird. Darauf werden die an anderer Stelle aus Kantholz hergestellten Bahnblöcke an den entsprechenden Stellen aufgestellt, die in ihrem oberen später die Fahrbahn tragenden Teil genau den Zeichnungen entsprechend ausgeführt sein müssen, denn hieraus ergibt sich das geformte Profil. So bilden die Blöcke bereits das genaue Profil, ohne dass irgendwelche Nacharbeiten erforderlich wären.

Das Gerippe der Radrennbahn in der Halle am Berliner Funkturm

Die senkrechte Überhöhung der Kurven schwankt bei Radien zwischen 13 und 35 Metern zwischen vier und sechs Metern und weist eine Neigung zwischen 45 und 60 Grad auf. Kommt Motorführung in Frage, so müssen jeweils die größeren Halbmesser und die steilere Neigung sowie auch die stärkere Überhöhung gewählt werden, um der in Folge der größeren Geschwindigkeit und Masse auch größeren Fliehkraft entgegen zu wirken. Bei Verwendung einer Holzbahn wird außerdem auch der Bahnbelag verstärkt.

Diese kurze Darstellung einiger der beim Bau von Radrennbahnen auftretenden Fragen lässt bereits erkennen, dass der Konstrukteur gründliche Kenntnisse aus sehr verschiedenen Gebieten der Technik haben muss. Darum können sich nicht sehr viele Architekten mit diesen Dingen beschäftigen. Ohne eigene praktische Rennfahrererfahrung ist Bahnbau überhaupt kaum möglich.

Quelle "Natur und Technik" Nr. 22  1949
Wedding-Verlag-Berli

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